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Stolz?

 

 

Wo immer in einem Gespräch erwähnt wird, daß jemand stolz auf sein eigenes Tun, auf das eines anderen Menschen oder gar auf eine Sache sei, so werde ich nachdenklich. Besonders dann, wenn sich hinter einer Sache ein idealisierter Begriff verbirgt, der kritisch betrachtet, nur ein mit Glanz geschmücktes hohles Wort ist.

Im Herkunftswörterbuch des Dudens stehen hinter `Stolz´ die Worte: Selbstbewußtsein und Hochmut. Zwei Substantive ohne eine Beziehung zueinander. Verbirgt sich jedoch hinter dem Selbstbewußtsein ein selbstgefälliges Denken, was oft der Fall ist, so offenbart sich ein gemeinsamer Nenner, nämlich: eingebildet. Dem Adjektiv `stolz´ folgen, stattlich, prächtig und hochgemut. Im Späthochdeutschen, also in der Zeit, als die Sprache noch in den Windeln lag, bedeutete es sogar hochmütig.

Zugegeben, der eigentliche Sinn des Wortes wurde vom Lauf der Zeit verwaschen und danach gezielt verfälscht in unsere Alltagssprache eingeschleust. Heute wird es meist unbedacht, gedankenlos und gewohnheitsmäßig, selbst von klugen und achtungswerten Menschen in Gespräche eingeflochten.

Trotz allem steht es seiner alten Deutung noch immer nahe. Daß jemand stolz auf eine Nation, auf ein Stück Kleidung oder auf das Tun einer Gemeinschaft ist, hört man häufig. Ebenso, wie schon erwähnt, daß jemand stolz auf sein eigenes Tun oder des eines anderen sei. Und schließlich wird auch gerne betont, daß jemand stolz auf ein Examen, auf eine Bewertung, oder auf eine steile Karriere ist.

Wie vermessen diese eigenlobnahen Selbstdarstellungen im Grunde sind, zeigt sich, so man ihnen die Frage in den Weg stellt: Was wäre aus diesen Menschen geworden, so sie mit einer Behinderung geboren wären, die ihrem Tun, Denken und Bewegungen enge Grenzen gesetzt hätten. Allein dieser Gedanke, nicht einmal zu Ende gedacht, macht klar, daß alle Kräfte, die uns treiben, vom Willen bis zur Tatkraft, von der Gesundheit bis zu den Begabungen Geschenke sind, die uns in die Wiege gelegt wurden. Und selbst das Lernen ist ein bepflanzen des eigenen Feldes mit fremden Wissen.

Sicherlich ist es die persönliche Sache eines jungen Menschen, wie und ob er die Gaben nutzt, die ihm auf dem Weg in das Leben mitgegeben Aber genau so wichtig für spätere Erfolge des einzelnen innerhalb einer Gesellschaft, sind die finanziellen Rückenwinde, getragen von den Eltern, der Familie und der Gemeinschaft.
Jungen Leuten jedoch, die in einer Kate geboren, oftmals nicht satt zu Essen gehabt und mit alter geflickter Kleidung in die Schule gehen mußten, denen diese goldene Schubkraft versagt ist, werden nur in Ausnahmefällen und dann nur geringfügig die Sprossen einer Erfolgsleiter über den Rand des Kreises erklettern, in dem sie hineingeboren und aufgewachsen sind. Denn noch immer gilt im allgemeinen: Wer in einer Kate geboren, wird mit einem Klotz am Bein in die Wiege gelegt.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es doch überheblich, wenn Menschen den Bau, den sie auf ein geschenktes Fundament errichtet haben, als eine Leistung werten, die hohe und überhöhte Bezüge rechtfertigen.

Still gedacht: Würde das Wort `stolz´ vergessen werden, wäre unsere Sprache nicht ärmer. Es läßt sich auch leicht und treffend mit einem schlichten Wortlaut ersetzen, wie: Ich bin dankbar, oder ich freue mich, daß ich etwas erreicht oder geschaffen habe, daß es mir gelungen ist, oder daß es mir gegeben war. Aussagen, so formuliert, sind zudem eindrucksvoller, als Sätze die den eigenen Stolz betonen. Sie vermitteln dem Zuhörer eine bescheidene Größe.

Aus dieser Sicht wirkt es daher nahezu ärmlich, ja beschämend, wenn ein Volksvertreter in Berlin - wie vor einigen Jahren geschehen - viele Tage von einer Talkshow zur anderen eilt und sich darüber ereifert, daß ein Abgeordneter einer anderen Partei, dem Wort Stolz den stolz genommen und es somit nach seiner Ansicht entwertet hat. Zusammenfassend kann man wohl sagen: Heiliger Strohsack! Welch ein Selbstzeugnis eines Mandatträgers, der es als seine Pflicht erachtet, den falschen Glanz eines Wortes zu erhalten, dessen überheblichen Inhalt er offensichtlich nicht einmal begriffen hat.

Und ist nicht auch widersprüchlich und entlarvend für eine Gemeinschaft, so sie gedankenlos zu sieht, wenn jungen Menschen, die in das Leben hineinwachsen sollen, höhnisch herablassend gesagt wird, sie hätten das Denken den Pferden zu überlassen, ihnen aber im gleichen Atemzug das Wort stolz wie ein glänzend leuchtender Pokal und das Stolzsein als eine erstrebenswerte Eigenschaft vor Augen gehalten wird.

Nein, das Wort Stolz und seine Ableger mag das selbstgefällige Bewußtsein jener Geister auch weiterhin stärken, die mehr sein wollen als sie sind, die etwas geworden sind, ohne etwas zu sein. Denn die im Volk gewachsene Weisheit hat noch immer ihren Wert, die da sagt: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.

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